Frankreichs Präsident Sarkozy: Ich will keine Minarette

PARIS, 3. März. Die Kulisse der Kathedrale Notre Dame in Le Puy-en-Velay hat der französische Präsident Sarkozy am Donnerstag für einen Appell zur Rückbesinnung auf das christliche Erbe Frankreichs gewählt. Die Kathedrale überragt das Städtchen in der Auvergne und bildet den Ausgangspunkt für einen der vier großen Pilgerwege für die Wallfahrten nach Santiago de Compostela. „Diese Landschaft ist Teil der Identität Frankreichs“, sagte Sarkozy. An der Spitze einer weltanschaulich neutralen Republik („République laïque“) stehe es ihm „in aller Objektivität“ zu, das „herausragende Erbe der christlichen Zivilisation“ zu loben. Sarkozy warnte davor, dieses Erbe „als sichtbarstes Zeichen der eigenen Identität“ zu vernachlässigen.

Ein knappes Jahr nachdem der Präsident seine in Islam-Beschimpfung ausartende Debatte über die nationale Identität aus Furcht vor weiteren Entgleisungen hatte beenden müssen, steht die Identitätsfrage wieder ganz oben in seiner politischen Agenda. Aus diesem Grund hat der Präsident auch eine Debatte über Islam und Laizität angekündigt. Sarkozy sieht sich im Einklang mit dem europäischen Zeitgeist. Als Echo auf Äußerungen der Bundeskanzlerin und des britischen Premierministers zum Multikulturalismus sagte Sarkozy, dieser sei in Frankreich gescheitert.

Der vom Präsidenten ernannte Hohe Kommissar für Vielfalt und Chancengleichheit, Yazid Sabeg, reagierte überrascht: „Das Scheitern von etwas zu erklären, das in Frankreich nie existiert hat, ist unangemessen. Der Multikulturalismus ist in unserem Land nie in Betracht gezogen oder positiv bewertet worden.“ Der Präsident beharrt jedoch darauf, die Franzosen in ihrer Identität zu vergewissern. Deshalb hält er an einer großen Debatte über die seit 1905 gesetzlich bestehende Trennung von Staat und Religion sowie über den Platz des Islams in der französischen Gesellschaft fest.

Sarkozy hat schon konkrete Vorstellungen, welche Ergebnisse die Diskussionen erzielen sollen. „Ich will keine Minarette, keine Rufe zum Gebet auf öffentlichem Grund, keine Betenden auf der Straße“, sagte Sarkozy vor der Führung der Präsidentenpartei UMP. Parteichef Jean-François Copé soll die Debatte führen, deren Auftakt mit einem Kolloquium am 5. April geplant ist. Halal-Lebensmittel will Sarkozy aus den Schulkantinen verbannen, nach Geschlechtern getrennte Badezeiten in den öffentlichen Schwimmbädern abschaffen.

Er wolle einen „französischen Islam“, mit Predigern, die Französisch sprechen. „Wie haben es teuer bezahlt, dass wir bei der Immigration in den achtziger Jahren blind waren. Das war ein Tabuthema. Jetzt wiederholt sich das mit dem Islam und der laizistischen Republik“, sagte Sarkozy vor der UMP-Parteiführung. „Wir waren zu sehr mit der Identität derer beschäftigt, die neu gekommen sind, und zu wenig mit der Identität der Länder, die sie aufgenommen haben.“

Doch unter den Parteigranden der Präsidentenpartei, die das am 11. April in Kraft tretende Burka-Verbot mitgetragen hatten, regt sich Unbehagen über die geplante Islam-Debatte. „Wenn das dazu führt, dass Muslime stigmatisiert werden, dann werde ich mich dagegen stemmen“, sagte Premierminister Fillon. „Wir müssen den Debattenverlauf gut kontrollieren, denn es ist nicht vorstellbar, die zweite Religion Frankreichs anzuprangern“, warnte Außenminister Juppé.

Noch schärfer lehnte die frühere Menschenrechtsstaatsministerin Rama Yade die geplante Diskussion ab: „Sechs Millionen Muslime werden sich wie unter religiösem Hausarrest fühlen, obwohl sie sich nicht zuerst als Muslime definieren.“ Selbst Senatspräsident Gérard Larcher, der konservatives Urgestein verkörpert, zeigte sich beunruhigt: „Wir sollten jenen, die mit Ängsten spielen, misstrauen.

Wir sollten die Laizität nicht durch eine Debatte schwächen, die schlecht vorbereitet und schlecht geführt wird, nur weil sie politischem Opportunismus entspricht.“ Es sei kurios, dass ausgerechnet der Präsident einer auf die Trennung von Religion und Staat beruhenden Republik eine Debatte über den Islam verordne, sagte der frühere Außenminister Hervé de Charette.

Sarkozys Versuch des Wählerfangs mit den Themen der rechtsextremen Nationalen Front ist jedoch so offenkundig, dass sich deren Vorsitzende Marine Le Pen darüber öffentlich lustig macht. Sarkozy sei als Anbeter christlicher Werte und Bauwerke komplett unglaubwürdig. Über den Schutz der Laizität in Frankreich müsse nicht großartig diskutiert werden.

„Wir brauchen darüber nicht nachdenken, wir haben darüber schon nachgedacht, vor mehr als 100 Jahren, und haben entschieden, dass die Religionen sich aus dem öffentlichen Leben heraushalten sollen“, sagte Marine Le Pen am Donnerstag.

Quelle: FAZ Printausgabe 04.03.2011

Hinterlasse einen Kommentar